Pélagie Gbaguidi
Pélagie Gbaguidi wurde 1965 in Dakar (Senegal) in eine Familie geboren, die auch Wurzeln im Benin hat. Sie lebte in Frankreich, bevor sie in Lüttich/Liège (Belgien) Kunst studiert hat. Heute lebt und arbeitet sie in Brüssel, hält sich aber oft in Afrika auf. Die Künstlerin zeigt ihr Werk seit der ersten Teilnahme an der Dakar Biennale 2004 im internationalen Kontext.
Einen viel beachteten Auftritt hatte Pélagie Gbaguidi auf Einladung von Adam Szymczyk und seinem Team 2017 an der Documenta 14 in Kassel und Athen. Sie zeigte eine raumfüllende Installation mit dem Titel The Missing Link. Decolonisation Education by Mrs Smiling Stone (2017). Diese besteht aus Skulpturen, Photographien und Zeichnungen mit fallenden Körpern auf langen Papierstreifen, die von der Decke hängen. Auf alten Schulpulten liegen Ausschnitte des Code noir (französisches Gesetz des 18. Jahrhunderts, das die Sklaverei in den Kolonien etablierte), Schwarzweiss-Fotos, die Studentenaufstände in Südafrika dokumentieren, sowie benutzte Notiz- bzw. Skizzenhefte, die Gbaguidi während der Documenta von Schulkindern in Kassel bearbeiten liess. In diesen Workshops an Schulen hat sie das kollektive Vergessen der kolonialistischen Vergangenheit und der daraus resultierenden Vorurteile, die heute noch existieren, thematisiert. Das Weitergeben von verstecktem oder verdrängtem Wissen soll der kollektiven Amnesie entgegenwirken. Gbaguidi hinterfragt Bildung als hierarchisches Prinzip, das voller blinder Flecken ist. Ihre Stimme kommt auf kleinen Videobildschirmen in der Installation zum Ausdruck.
Gbaguidi versteht ihre Funktion als Künstlerin in der Rolle eines „Griot“ bzw. einer „Griotte“. In Teilen Westafrikas ist der „Griot“ ein Sänger, Dichter oder Instrumentalist, der als Geschichtenerzähler, Lehrer oder Unterhalter mit seinen epischen Texten die Geschichte eines Volkes oder einer Kultur weitergibt. Er ist wichtig für die mündliche Überlieferung traditionellen Wissens und am ehesten vergleichbar mit mittelalterlichen Troubadouren.
Zeichnungen sind das zentrale Medium von Gbaguidi. Sie schafft grosse Wandzeichnungen wie jüngst in der von Etel Adnan inspirierten Ausstellung Écrire, c’est dessiner (Schreiben ist Zeichnen) im Centre Pompidou – Metz oder kleinformatige Serien und Skizzenbücher. Zeichnen ist in ihrer Praxis oft Teil von sozialen Projekten und kollektiven Aktivitäten. Sie zeichnet auch in Archiven, wo sie auf Dokumente bisher ungeschriebener Geschichte stösst und auf sie reagiert. Sie erfindet dichte Erzählungen, in denen Zeichnungen, Rituale, Gesang und automatisches Schreiben zusammentreffen. Sie verbindet kollektive Erinnerungen mit persönlichen Geschichten und aktuellen Ereignissen.
Quelle:
Kunstmuseum Basel | Dr. Anita Haldemann
Bild:
B. Borgers